Grußwort von Josef Kaya Vorstandsvorsitzender der Stiftung für Aramäische Studien
Ein Jahr nach der politischen Anerkennung des Genozids durch den Deutschen Bundestag kann das Gedenken an den Völkermord nun frei, das heißt ohne Erklärungs- und Rechtfertigungsnot, begangen werden Die politische Anerkennung hat den erhofften Paradigmenwechsel bewirkt, sich politisch nicht mehr erklären zu müssen, auch wenn die türkische Politik nicht aufhören wird, Einfluss auf die politischen Debatten zu nehmen. Als Stiftung, die die Forschungsstelle für Aramäische Studien an der Goethe Universität Frankfurt am Main trägt und finanziert, sind wir zuversichtlich, dass wir nun einfacher als zuvor historische Institute, Förderinstitutionen, Historikerinnen und Historiker für die wissenschaftliche Aufarbeitung des Genozids gewinnen können, die sich vorher nicht mit dem aus ihrer Sicht politisch stark aufgeladenen Gegenstand befassen wollten.
Denn als Aramäer haben wir vieles an Aufarbeitung nachzuholen. In den letzten Jahren wurden zwar einige Zeitzeugenberichte zu diesem Thema veröffentlicht und wissenschaftliche Tagungen und Konferenzen abgehalten. Es fehlt jedoch bis jetzt eine institutionalisierte Aufarbeitung des Genozids an den Aramäern. Wir sind Prof. Dr. Weltecke dankbar, dass sie sich diesem wichtigen Aspekt unserer Gemeinschaft in der Forschungsstelle annimmt. In der Forschungsstelle wurde bereits eine Doktorarbeit begonnen, die sich mit der Rolle des Deutschen Kaiserreiches, dem Verbündeten des Osmanischen Reiches, auseinandersetzt. Prof. Dr. Weltecke hat dankenswerterweise signalisiert, die wissenschaftliche Jahresbericht 2017 13 Aufarbeitung gemeinsam mit ihren Fachkollegen im Wissenschaftlichen Beirat voranzutreiben und zu erweitern, um sie auf eine wissenschaftlich angemessene Ebene zu heben. Damit wird den Spekulationen und historischen Fehlinformationen der Boden entzogen und die notwendige gesellschaftliche Diskussion in Deutschland auf einer sachlich tragfähigen Basis geführt. Diese Arbeit wäre auch aus sich heraus eine Notwendigkeit, damit Deutschland – als Verbündeter und Beobachter direkt am Geschehen beteiligt – sich mit seiner Rolle im Völkermord auseinandersetzt. Als Nachfahren der Überlebenden, die in der Bundesrepublik eine Heimat gefunden haben und Staatsbürger geworden sind, wünschen wir uns eine öffentliche historische Aufarbeitung der Ereignisse.
Als Aufarbeitung dient auch der heutige Gedenktag, der 15. Juni, den wir mit Freunden und Partnern in der Öffentlichkeit begehen. Er ist erst vor zwei Jahren zum 100. Jahr des Völkermords im Jahr 2015 von der Stiftung initiiert und von der syrisch-orthodoxen und syrisch-katholischen Kirche eingeführt worden. Erstmals wurde ein Gedenktag geschaffen, der allein der tragischen Leidensgeschichte unserer Gemeinschaft gewidmet ist und mit einer eigenen Gedenktradition begangen wird. An diesem Gedenktag wollen wir dieses historische Ereignis mit der Weltgemeinschaft teilen. Wir sind es den Opfern schuldig, dass das Martyrium, das sie erleiden mussten, nicht vergessen wird.
Am 15. Juni 1915 erreichte die rassistisch-nationalistische Mordwelle der Jungtürken, die am 24. April mit den Festnahmen und der Hinrichtung von mehr als 200 armenischen Intellektuellen, Politikern und Geistlichen im damaligen Konstantinopel begann, die aramäische Stadt Nisibin. Sie gilt in der Erinnerung der Aramäer, ost- und westsyrischer Konfessionen, als Zentrum der theologischen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Die Schule von Nisibis, gegründet im Jahr 350, war ein Zentrum von Philosophie, Theologie und Dichtkunst. Sie hat Werke hervorgebracht, die über den aramäisch-sprachigen Raum hinaus auch Rezeption im Westen gefunden haben. Sie sind tief in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Die Carmina Nisibina mögen hier genannt werden, ebenso Lehrer und Mönche wie Ephräm der Syrer – der z.B. auch ein Kirchenlehrer der römisch-katholischen Kirche ist –, Mar Nersay und Mar Jakob von Nisibis. Mit der Deportation der letzten aramäischen Bewohner der Stadt im Jahre 1915 und mit der Ermordung des letzten Lehrers und Mönchspriesters Estaphanos war nun diese Tradition der alten Bildungsstätte endgültig gebrochen. Ihre Vernichtung hatte zum Ziel, über unsere physische Existenz hinaus auch unser kulturelles und intellektuelles Dasein auszurotten.
Sehr herzlich darf ich mich bei allen bedanken, die an dieser Gedenkfeier mitwirken: Beim Komponisten Herrn Thomas Ücel, der sich der Herausforderung angenommen hat, Hymnen der syrisch-orthodoxen Kirche für ein Streichquintett neu zu interpretieren. Das Werk, das eigens für den Gedenktag in Auftrag gegeben worden ist, entstand auf der Grundlage einer Rekonstruktion aramäischer Melodien der Spätantike aus dem „Beṯ Gazo“. Thomas Ücel ist der junge Komponist, der anlässlich des 100. Gedenktags im Jahre 2015 eigens eine Symphonie komponiert hat und im selben Jahr in der syrischen Jahresbericht 2017 14 Staatsoper in Damaskus bei Anwesenheit aller religiösen und staatlichen Würdenträger Premiere feierte. Über die Beiträge des Streichquintetts hinaus wird der syrisch-orthodoxe Chor der Gemeinde Mor Jakob seiner Eminenz beim Andenken musikalisch begleiten. Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen. Ein besonderer Dank gilt Frau Anne Osterloh, die am heutigen Abend aus den Erinnerungen einer Überlebenden des Völkermords aus dem Dorf Kacbiye, nahe Diyarbakir, rezitieren wird.
Ich freue mich sehr über die Anwesenheit und die Grußworte seiner Eminenz Mor Philoxenos Matthias Nayish, Bischof der syrisch-orthodoxen Erzdiözese in Deutschland. Unser Dank gilt selbstverständlich auch Daniyel Demir, Vorsitzender des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland.
Ich bin sehr glücklich darüber, Seine Exzellenz Dr. Ashot Smbatyan, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Armenien, begrüßen zu dürfen. Ihre Anwesenheit zum zweiten Male an unserem Gedenktag und ihre Bereitschaft, eine Ansprache zu halten, zeugt von der historischen Verbundenheit unserer beiden Bevölkerungsgruppen.
Ich freue mich über die Anwesenheit des Herrn Bischofs Dr. Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Es ist für uns ein Zeichen der geistlichen Nähe, dass Sie diese Stunde mit uns teilen.
Besonders herzlich bedanken möchten wir uns bei Prof. Dr. Tessa Hofmann, die heute die Festrede halten wird. Frau Hofmann, Sie sind seit Jahrzehnten als Menschenrechtlerin und als Wissenschaftlerin unermüdlich aktiv, damit der Genozid in der deutschen Wissenschaftslandschaft, in der deutschen Politik und in der Öffentlichkeit Gehör findet, damit die Namenlosen einen Namen bekommen und damit die Opfer dieses Völkermordes nicht vergessen werden. Ich werde Ihre wissenschaftlichen Werke und Ihr politisches Engagement nicht einzeln aufzählen. Die Errichtung der Gedenkstätte an den Genozid in unserer deutschen Hauptstadt Berlin spricht mehr für Ihre Arbeit, als eine solche Aufzählung vermag. Hier ist etwas in seiner Weise Einzigartiges geschaffen worden. Viele haben geholfen und mitgewirkt, dass diese Gedenkstätte aufgebaut werden kann. Aber Sie waren der tatkräftige Motor hinter dieser Initiative. Die politische Anerkennung des Genozids durch den Bundestag wäre ohne Ihren persönlichen Beitrag nicht möglich gewesen. Für all das und viel mehr sei Ihnen herzlich gedankt.
Sehr herzlich bedanke ich mich bei Prof. Dr. Dorothea Weltecke, der Leiterin der Forschungsstelle für Aramäische Studien. Wir sind im vierten Jahr der Einrichtung der Forschungsstelle, die im April 2017 mit Ihnen an die Goethe-Universität Frankfurt gewechselt ist. Durch Sie und mit Ihnen haben wir eine universitäre Einrichtung, in der über den Sayfo und weitere Aspekte unserer Gemeinschaft wissenschaftlich geforscht wird. Dafür sind wir Ihnen als Stiftung, die die Forschungsstelle fördert, und als Gemeinschaft stets dankbar.
Wir danken der Stiftung zum Erhalt und zur Förderung des Aramäischen Kulturerbes für die Zusammenstellung der hier gezeigten Ausstellung, die 2015 zum 100. Jahrestag des Völkermords bereits Jahresbericht 2017 15 in mehreren Städten gezeigt wurde und die wir heute hier, erweitert um eine Ausstellungstafel zu Miden, erneut betrachten können.