Grußwort von Josef Kaya Vorstandsvorsitzender der Stiftung für Aramäische Studien
Eure Eminenz Mor Philoxenos Matthias Nayish, Bischof der syrisch-orthodoxen Erzdiözese in Deutschland, Eure Eminenz Mor Julius Hanna Aydin, Eure Eminenz Odisho Oraham, Bischof der Heiligen Apostolischen und Assyrischen Katholischen Kirche des Ostens, Eure Exzellenz Herr Ashot Smbatyan, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Armenien, sehr geehrter Herr Cem Özdemir, Parteivorsitzender der Grünen, sehr geehrter Daniyel Demir, Vorsitzender des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste.
Nach 101 Jahren ist das Schweigen im politischen Deutschland gebrochen. Am 2. Juni 2016 stufte der Deutsche Bundestag das Verbrechen der jungtürkischen Regierung im Osmanischen Reich an den Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen als Völkermord ein. Der gemeinsame Antrag von Union, SPD und Grünen wurde trotz heftiger Proteste der türkischen Führung sowie türkischer Verbände in Deutschland mit breiter Mehrheit beschlossen – mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Wir als Nachfahren der Überlebenden und mittlerweile deutschen Staatsbürgern sind unserem Bundestag sehr dankbar.
Der Bundestag hatte sich bis dato verschiedentlich mit dem Völkermord der Jungtürken an uns befasst. Aber aus Rücksicht auf die Beziehungen zur Türkei, dem juristischen Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs, ist der Begriff Völkermord in der Resolution stets vermieden worden. Diesmal wurde der Antrag nicht wegen türkischer Befindlichkeiten in die parlamentarischen Ausschüsse verwiesen, sondern als Resolution beschlossen. Für diese langersehnte Anerkennung im Bundestag haben sich in diesem Land viele Organisation und Personen beharrlich und selbstlos, wissenschaftlich und politisch über die Jahre hindurch eingesetzt. Auch dafür möchten wir unseren Dank ausdrücken.
Aus Zeitgründen kann ich nicht alle Initiativen und Personen einzeln aufzählen. In Bezug auf unsere Gemeinschaft möchte ich aber folgende hervorheben: Ohne das Institut für Diaspora- und Genozidforschung in Bochum unter der Leitung von Herrn Prof. Mihran Dabag, ohne die Menschenrechtsarbeit und die wissenschaftlichen Initiativen von Frau Prof. Tessa Hoffmann in Berlin und ohne die Arbeit von Amill Gorgis, der seit Jahren auf die aramäischen Chroniken und Berichte der Ereignisse aufmerksam und sie durch Übersetzungen der deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich macht, wären wir von diesem so überaus wichtigen Etappenziel noch weit entfernt.
Schließlich möchte ich mich beim Bundestag bedanken, bei den einzelnen Sprechern in der Plenarsitzung, die sich mit deutlichen Worten zum Völkermord geäußert haben. Und bei den Parlamentariern aller Bundestagsfraktionen, die der Resolution zugestimmt haben. Hervorheben möchte ich dennoch zwei Abgeordnete: Den Fraktionsvorsitzenden der Union, Volker Kauder, und den Parteivorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, der heute mit uns dem Völkermord gedenken möchte und dankenswerterweise die Festrede halten wird. Herr Özdemir:
Es war Ihnen sehr wohl bewusst, welchen Reaktionen Sie nach einem solchen selbstlosen Einsatz ausgesetzt sein würden. Die Drohgesten der türkischen Regierung an den deutschen Staat waren zu erwarten. Aber Sie sind auch persönlichen Beschimpfungen, Anfeindungen und sogar Todesdrohungen ausgesetzt und haben sich dennoch nicht einschüchtern lassen. Ihnen ist der Schutz des Andenkens der Opfer und des Wissens um die historische Wahrheit wichtiger als die politischen Beziehungen zur Türkei.
Diese Anfeindungen kommen nicht nur von fanatischen Gegnern der Resolution, die man hätte ignorieren können. Sie und ihre türkeistämmigen Kollegen im Bundestag sind Attacken des obersten Repräsentanten der Türkei ausgesetzt, der Sie als verlängerten Arm der kurdischen Terrororganisation PKK bezeichnete. Ihre Fotos zirkulieren – auch durch hochrangige Regierungspolitiker – wie ein Fahndungsaufruf im Internet. Billigend nimmt der Staatspräsident in Kauf, dass Extremisten die Drohungen als Freibrief und Auftrag empfinden könnten und versuchen werden, sie in die Tat umzusetzen. Spätestens mit diesen verbalen Angriffen hätte zu ihrem persönlichen Schutz, zum Schutz anderer Abgeordneter und zur Achtung der Integrität des Bundestages die Bundesregierung ein klares Wort in Richtung des türkischen Präsidenten richten sollen. Die gewählten Worte der Bundeskanzlerin Angela Merkel jedoch: "Die Vorwürfe und die Aussagen, die da jetzt gemacht werden von der türkischen Seite, halte ich für nicht nachvollziehbar", klingen sehr blass und verharmlosend. Ganz anders die klaren Worten von Bundestagspräsident Lammert, der die Angriffe aus der Türkei deutlich verurteilte.
Meine Damen und Herren. Durch die politische Anerkennung wird es einen Paradigmenwechsel in der deutschen Öffentlichkeit hinsichtlich des Völkermordes geben. Für Debatten der Verharmlosung und die Leugnung des Genozids durch die türkische Politik wird es schwieriger sein, im politischen Raum in Deutschland einen Platz zu finden. Um dies jedoch ganz auszuschließen, muss nun die Leugnung unter Strafe gestellt werden. Das wird unser nächstes politisches Ziel sein.
Meine Damen und Herren. Die Tatsache, dass ein Genozid im Osmanischen Reich stattfand, war und ist aus wissenschaftlicher Perspektive schon lange zweifelsfrei belegt. Aber eine echte Aufarbeitung im öffentlichen Raum war aufgrund der türkischen Proteste nicht möglich. Anhand der aktuellen Reaktionen der Türkei wird sehr deutlich, wie weit der türkische Staat geht, um seine Position durchzusetzen. Die politische Anerkennung wird hoffentlich die Scheu und Unsicherheit vieler Historikerinnen und Historiker vermindern, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Historische Institute und Stiftungen haben sich wohl aus diesem Grund mit dem aus ihrer Sicht politisch stark aufgeladenen Gegenstand nicht befassen wollen. Aber um die Angst und Sorge der Wissenschaftler, Historiker, Sozialwissenschaftler und Journalisten sowie Politiker zu nehmen, bedarf es eines weiteren Zeichens des Bundestages: Die Bildung und Einsetzung einer Historikerkommission. Eine solche Historikerkommission mit Spezialisten für die Geschichte der Neuzeit und ihrer Gewaltphänomene kann die Frage abseits politischer Fronten effizient und professionell untersuchen und die Forschung endlich auf eine wissenschaftlich angemessene Ebene heben. Das Signal einer solchen Kommission würde von den historischen Instituten aufgegriffen werden. Projekte könnten mit sehr viel größerer Zuversicht entwickelt werden und hätten in den Förderinstitutionen realistische Chancen. Damit kann den Spekulationen und historischen Fehlinformationen der Boden entzogen und die notwendige gesellschaftliche Diskussion in Deutschland auf einer sachlich tragfähigen Basis geführt werden. Die Historikerkommission wäre auch aus sich heraus eine Notwendigkeit, damit Deutschland – als Verbündeter und Beobachter direkt am Geschehen beteiligt – sich mit seiner Rolle im Völkermord auseinandersetzt. Als Nachfahren der Überlebenden, die in der Bundesrepublik eine Heimat gefunden haben und Staatsbürger geworden sind, wünschen wir uns eine öffentliche historische Aufarbeitung der Ereignisse.
Die Forschungsstelle für Aramäische Studien unter der Leitung der Historikerin Frau Prof. Dorothea Weltecke möchte sich mit ihren Fachkollegen, den Spezialisten für Genozidforschung Herrn Prof. Boris Barth und Herrn Prof. Mihran Dabag, als Ansprechpartner anbieten.
Als Beginn des Völkermords gilt der 24. April 1915, als die Jungtürken über 200 armenische Intellektuelle, Politiker und Geistliche im damaligen Konstantinopel festnehmen und größtenteils töten ließen. Es folgten Massaker und Deportationen in die nordsyrische Wüste. Die Überlebenden der Todesmärsche starben an Hunger, Erschöpfung und Krankheiten. Die nationalistische Ideologie, die zu diesem Wahnsinn führte, richtete sich nicht allein gegen die Armenier, sondern gegen alle christlichen Bevölkerungsgruppen. Somit auch gegen die Aramäer, oder in konfessioneller Sprache gesprochen, an den syrisch-orthodoxen, syrisch-katholischen, syrisch-protestantischen, assyrischen und chaldäischen Christen. Über 300.000 Menschen, drei Viertel der aramäischen Bevölkerung, wurden systematisch und vorsätzlich ermordet. Diese Katastrophe ist in unserem kollektiven Gedächtnis als Sayfo, als „Jahre des Schwertes“ eingeprägt und ist ein Bestandteil unseres Gemeinschaftslebens. Dennoch konnte sie bisher nicht in die Weltöffentlichkeit eindringen. Sie hat keine Aufarbeitung in der Wissenschaft und Kunst gefunden. Der aufmerksame Beobachter wird gemerkt haben, dass wir selbst in dieser Zeit der verstärkten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den Medien selten erwähnt werden, weil uns u.a. die strukturelle Sichtbarkeit fehlt.
Deshalb ergriff die NISIBIN – Stiftung für Aramäische Studien die Initiative, im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahr des Genozids den 15. Juni (2. Juni gregorianischen Kalenders) als festen Gedenktag einzuführen. Dieser wird bisher von zwei der syrischen Kirchen, nämlich der syrisch-orthodoxen sowie der syrisch-katholischen Kirche, offiziell anerkannt. An jenem Tag erreichte die Vernichtung die Stadt Nisibin, die im Gedächtnis der Aramäer ost- und westsyrischer Konfessionen als Stätte der theologischen Bildung, Wissenschaft und Kultur gilt. Ein fester Gedenktag, so hoffen wir, wird den Völkermord in die öffentliche Wahrnehmung rücken.
Sehr herzlich darf ich mich bei allen bedanken, die an dieser Gedenkfeier mitwirken: Beim Komponisten Herrn Andranik Fatalov, der Hymnen der syrisch-orthodoxen Kirche für ein Streichquartett neu interpretiert hat. Das Werk, das für den 100. Gedenktag in Auftrag gegeben worden ist, entstand auf der Grundlage einer Rekonstruktion aramäischer Melodien der Spätantike aus dem „Beṯ Gazo“. Ich bedanke mich herzlich bei den Geigerinnen Nazeli Arsenyan und Kateryna Suglobina, bei der Bratschistin Patricia Gomez Carretero und dem Cellisten Davit Melkonyan. Sie werden gemeinsam diese Gedenkfeier musikalisch begleiten. Über die Beiträge des Streichquartetts hinaus wird der syrisch-orthodoxe Chor der Gemeinde Mor Jakob seiner Eminenz beim Andenken musikalisch begleiten. Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen.
Ein besonderer Dank gilt Frau Anne Osterloh, die am heutigen Abend aus den Erinnerungen von Frau Schamme, einer Überlebenden des Völkermords, rezitieren wird.
Ich freue mich sehr über die Anwesenheit und die Grußworte seiner Eminenz Mor Philoxenos Matthias Nayish, Bischof der syrisch-orthodoxen Erzdiözese in Deutschland, und seiner Eminenz Mar Odisho Oraham, Bischof der Heiligen Apostolischen und Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens, Erzdiözese Europa. Unser Dank gilt selbstverständlich auch Daniyel Demir, Vorsitzender des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland.
Besonders herzlich bedanken möchten wir uns bei Cem Özdemir, Parteivorsitzender der Bündnis 90/Die Grünen. Lieber Herr Özdemir, Sie stehen für ein offenes Deutschland, das sich seiner Verantwortung bewusst ist. Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier bei uns sind und damit – so möchte ich sagen – ein deutliches Zeichen setzen.
Sehr herzlich bedanke ich mich bei Frau Prof. Dorothea Weltecke, der Leiterin der Forschungsstelle für Aramäische Studien. Im dritten Jahr ihrer Einrichtung hat Frau Weltecke die Forschungsstelle bereits tief im Fachbereich Geschichte und Soziologie an der Universität Konstanz verankert. Im Rahmen des Wissenschaftsbetriebes hat die Forschungsstelle zur Etablierung dieses Gedenktags beigetragen und im Vorfeld der Anerkennung an richtigen Stellen Impulse gegeben. Dafür bedanken wir uns.
Bedanken möchte ich mich schließlich bei den Verantwortlichen des Französischen Doms, uns für den heutigen wichtigen Tag dieses besondere Gotteshaus als Ort des Gedenkens zur Verfügung zu stellen.