Stiftungstag Berlin 2011: Bericht
„Kultur lebendig halten“ – Die Stiftung für Aramäische Studien feierte den zweiten Stiftungstag in Berlin
„Wirtschaft trägt Wissenschaft“ – dieses Motto, unter dem NISIBIN, die Stiftung für Aramäische Studien, am 15. Oktober 2011 feierlich ihren zweiten Stiftungstag beging, ist zugleich eine Aufgabe und ein Versprechen. Den Rahmen des in Berlin unter der Schirmherrschaft des amtierenden Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Walter Momper stattfindenden Stiftungstages bot der festliche „Meistersaal“ am Potsdamer Platz. Der jährliche Stiftungstag sucht nicht nur Freunde und Förderer in engem Gespräch zusammenzubringen und neue Förderer für die Stiftung zu gewinnen, sondern er möchte über den Stand der Arbeiten berichten und über neue Aufgaben und Projekte informieren. Die feierliche Veranstaltung richtet sich damit an eine weite Öffentlichkeit innerhalb der aramäischen Gemeinschaft, um Interesse und Engagement für das Ziel einer Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zu wecken.
Zu den zahlreichen Gästen zählten unter anderem der Leiter des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Universität Bochum, Prof. Dr. Mihran Dabag, der Lehrstuhlinhaber für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und christliche Archäologie der Universität Bochum, Prof. Dr. Josef Rist, der syrisch-orthodoxe Erzbischof der Diözese der Niederlande, Mor Polycarpus Dr. Eugin Aydin, sowie der Bundesvorsitzende der Dachverbandes der Aramäer in Deutschland (FASD), Daniyel Demir. Grußadressen sendeten der Botschafter der Republik Armenien, S. E. Armen Martirosyan, sowie S. E. Mor Yulius Dr. Hanna Aydin.
Höhepunkt der Veranstaltung war die Uraufführung eines Streichquartetts des jungen armenischen Komponisten Andranik Fatalov. Das Werk, das für den Stiftungstag in Auftrag gegeben worden war, entstand auf der Grundlage einer Rekonstruktion aramäischer Melodien des frühen Mittelalters aus dem „Beth Gazo“. Mit dieser Arbeit wurde der Kerngedanke der Etablierung „Aramäischer Studien“ zum Ausdruck gebracht: Kultur lebendig zu halten dadurch, dass sie weiterentwickelt wird. In ihren einleitenden Worten zur Komposition betonte Dr. Kristin Platt, dass Kultur erst dann lebendig sei, wenn es gelänge, über die neuen Narrationen das Traditionelle neu zu erinnern. Sie verwies auf die komplizierte musikhistorische Aufgabe, der sich der Komponist Fatalov zunächst hatte stellen müssen. So habe er eine Analyse der Melodik und Harmonik leisten, den Fragen nach dem Tonsystem und der Notation nachgehen und nicht zuletzt das Verhältnis zwischen festgeschriebener Form und Improvisation klären müssen. Sein Werk sollte am Ende keine Europäisierung anstreben, nicht harmonisieren oder einer kulturellen Entwicklung folgen, sondern eben den Bruch, den die aramäische Geschichte erlebt hat, spürbar werden lassen. Über die musikalischen Beiträge des Streichquartetts hinaus bereicherte der renommierte Saxophonist Koryun Asatryan den musikalischen Rahmen des Programms.
Die „Stiftung für Aramäische Studien“, die ihre Arbeit vor zwei Jahren mit dem Gründungsakt im Senatssaal der Ruhr-Universität Bochum aufgenommen hat, sucht nichts weniger als einer Vision nachzustreben. Als Institution will sie einen zentralen Beitrag dafür leisten, eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte, Sprache und Kultur der Aramäer anzuregen, diese zu intensivieren und an den Universitäten zu etablieren. Diese Aufgabe ist im Rahmen des Engagements zu verstehen, eine Struktur zu schaffen für die neuen Fragen und Herausforderungen in der Diaspora.
In seiner einleitenden Ansprache stellte der Vorsitzende der „Stiftung für Aramäische Studien“, Herr Martin Halef, die bisherigen Ergebnisse, Aufgaben und Projekte der Stiftung dar. So ist bereits ein Schwerpunkt „Aramäische Studien“ am Institut für Diaspora- und Genozidforschung der Universität Bochum eingerichtet worden. Die Stiftung trägt finanziell die Stelle eines eigenen wissenschaftlichen Mitarbeiters, die mit Herrn Zeki Bilgic M.A. besetzt ist. Als Aufgabe benannte Herr Halef die Intensivierung der Übersetzungstätigkeiten, wobei er auf den deutsch-jüdischen Philosophen Walter Benjamin verwies, der die Tätigkeit des Übersetzens als schöpferischen Akt bezeichnete – eine Übersetzung, die einen Raum des Überlebens sichert. In Planung ist derzeit ferner ein Sammelband mit Beiträgen ausgewiesener Wissenschaftler über „Die Aramäer in Geschichte und Gegenwart“. Weitere Aufgabenfelder sind die Vernetzung mit anderen Wissenschaftlern mittels einer Online-Datenbank sowie die Förderung von Studierenden und Doktoranden.
In seinem Grußwort, das von Herrn Markus Tozman verlesen wurde, würdigte der Schirmherr Walter Momper die aramäische Religionsgemeinschaft, die trotz ihrer friedlichen Botschaft in den letzten Jahrhunderten oft verfolgt und bedroht wurde. Die Aramäer seien der lebendige Beweis für den gemeinsamen kulturellen Ursprung von Orient und Okzident. Dass eine Gemeinschaft noch immer die Sprache von Jesus Christus bewahre, so Momper, sei als großes Glück nicht nur für religiöse Menschen wahrzunehmen, sondern als Beitrag für das gesamte kulturelle Erbe der westlichen Zivilisation. Aus diesem Beitrag sei auch eine Verantwortung Deutschlands für seine Außenbeziehungen abzuleiten. Den arabischen Frühling richtig zu deuten verlange nicht zuletzt, Einfluss zu nehmen und dabei auf Augenhöhe dafür einzutreten, dass am Ende der autoritären Regime nicht blinde Intoleranz um sich greife, sondern die islamischen Mehrheitsgesellschaften sich auf die Tradition der Toleranz gegenüber den anderen großen Weltreligionen besinne, damit das kostbare Erbe der aramäischen Kultur nicht nur bewahrt, sondern auch in Zukunft gelebt werden könne. Momper begrüßte das Anliegen der „Stiftung für Aramäische Studien“ und sicherte seine Unterstützung zu.
Mor Polycarpus Dr. Eugin Aydin lobte in seiner Ansprache das große Engagement Prof. Dr. Mihran Dabags für die aramäische Diaspora. Gleichzeitig verwies er auf die Verantwortung der Aramäer, das Vermächtnis der aramäischen Kultur an die gesamte Christenheit weiter zu geben. Er erinnerte an die Leistungen der frühen aramäischen Christen, die bis in die westliche Welt hinein gewirkt hatten, so die beiden großen aramäischen Kirchenväter Ephraem der Syrer und Isaak von Ninive. Christliches Erbe und kulturelles Erbe zeigten sich dabei untrennbar verbunden.
Prägnant skizzierte Prof. Dr. Josef Rist in seinem Vortrag in drei Punkten, welcher Schritte es auf dem Weg zu einer Etablierung „Aramäischer Studien“ bedarf. Zum einen einer Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema „Aramäer“ und für den Wert einer akademischen Untersuchung. Ferner einer Bildung, eines wachsenden Wissens über das aramäische Erbe. Sowie drittens der Qualifikation von Geisteswissenschaftlern aus den eigenen, aramäischen Reihen. Nur so könne die jüngere Generation der Aramäer als „Multiplikator“ von Kultur und Wissenschaft dienen.
Auch Herr Musa Tanriver, Berlin, deutete in seiner Vorstellung der Tätigkeiten und Aufgaben der NISIBIN – Stiftung für Aramäische Studien auf die Notwendigkeit einer Institutionalisierung aramäischer Kultur hin; dafür zitierte er Prof. Dabag: „In einem demokratischen und zivilgesellschaftlichen Gemeinwesen, in dem der kulturelle Pluralismus eine zentrale Bedeutung hat, wird keine Gemeinschaft einen Platz finden, wenn sie nicht in institutionalisierter Form am öffentlichen Leben teilnimmt.“ Im systematischen Überblick veranschaulichte Herr Tanriver die Strukturen und Ziele der „Stiftung für Aramäische Studien“ und verwies auf die besondere Bedeutung einer Unterstützung der akademischen Leistungen durch Vertreter der Wirtschaft.
Der Stiftungstag konnte erfolgreich mit der Zusage finanzieller Förderungen durch private Spender beendet werden. Dass der Weg der Etablierung einer stabilen Institution zur Festigung und Förderung des lebendigen Wissens über aramäische Geschichte und Kultur viele Freunde braucht, hat auch der Zweite Stiftungstag in Berlin mit seiner eindringlichen Atmosphäre deutlich gemacht.