Wir haben uns heute hier versammelt, um jener zu gedenken, jene zu ehren, die Opfer des Völkermords ab dem Jahre 1915 geworden sind. Wir wollen der Opfer gedenken, von denen keine Gräber zeugen, an denen wir trauern könnten.

Umso wichtiger ist es, dass es symbolische Orte des Gedenkens gibt, wie die Ökumenische Gedenkstätte hier in Berlin. Sie wurde von der Fördergemeinschaft für eine ökumenische Gedenkstätte für Genozidopfer im Osmanischen Reich errichtet. Heute Nachmittag haben wir dort der Opfer gedacht und einen Kranz niedergelegt.

Allerdings dürfen wir uns allein mit einem symbolischen Ort und einer öffentlichen Gedenkveranstaltung nicht zufrieden geben. Diese Aspekte ermöglichen uns zwar, unsere eigene Geschichte im öffentlichen Raum zu erzählen, d.h. als Sprecher der eigenen Geschichte aufzutreten. Dies ist so wichtig, weil mit der Position des Sprechers auch die Frage der Deutungshoheit verbunden ist, die Frage der gesellschaftlichen und politischen Bewertung.

Als Nachfahren der Überlebenden, die in der Bundesrepublik eine Heimat gefunden haben und Staatsbürger geworden sind, ist es uns aber auch ein großes Anliegen, diese unsere Geschichte in das politische Leben dieses Landes zu integrieren. Dies würde nicht minder bedeuten, dass ein feierliches Andenken im Deutschen Bundestag stattfindet, ein Gesetz verabschiedet wird, welches die Leugnung des Genozids unter Strafe stellt, dass der Völkermord in den staatlichen Schulgeschichtsbüchern erwähnt und im Geschichtsunterricht thematisiert wird. Dass dies geht, zeigt Frankreich. Nachdem im Jahre 2012 ein Gesetz verabschiedet worden ist, das die Leugnung der gesetzlich anerkannten Völkermorde unter Strafe stellt, hat Präsident Emmanuel Macron im Februar diesen Jahres den 24. April zum offiziellen nationalen "Tag der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern" erklärt.

Diese Maßnahmen wären für die Bundesrepublik kein Einsatz für die Aufarbeitung einer fremden Geschichte. Denn als juristischer Nachfolger des Deutschen Reiches, das sich als Beobachter immer der Ereignisse bewusst und als Verbündeter direkt am Geschehen beteiligt war, sollte sich Deutschland um seiner selbst willen mit seiner Rolle im Völkermord auseinandersetzen. Denn als Bündnispartner des Osmanischen Reiches während des Ersten Weltkriegs trägt Deutschland eine historische Verantwortung, die es zu verarbeiten gilt. Und die Perspektive der Opfer – unserer Vorfahren – muss ein Teil dieser Aufarbeitung sein.

Die deutsche Politik tut sich jedoch - trotz oder wegen - der historischen Verantwortung schwer mit diesem Genozid an den Aramäern, Armeniern und Griechen. Der Deutsche Bundestag hat zwar endlich im hundert-und-ersten Jahr die Ereignisse im osmanischen Reich als Genozid anerkannt. Aber die Bundesregierung und allen voran die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel verwenden noch immer nicht das Wort Genozid in offiziellen Anlässen. So vermied sie dieses Wort bei Ihrem Besuch in Armenien im August des vergangenen Jahres, als sie bei der Kranzniederlegung am Denkmal für die armenischen Opfer „Zizernakaberd“ in Eriwan eine Rede hielt.

An diesem Gedenktag wollen wir dieses historische Ereignis mit der Weltgemeinschaft teilen. Wir sind es den Opfern schuldig, dass das Martyrium, das sie erleiden mussten, nicht vergessen wird. Ich danke allen Anwesenden, Freunden, Partnern, Interessierten, mit denen wir gemeinsam diesen Gedenktag, den 15. Juni, in der Öffentlichkeit begehen. Vor hundert und vier Jahren erreichte an diesem Tag die rassistisch-nationalistische Mordwelle der Jungtürken, die am 24. April mit den Festnahmen und der Hinrichtung von mehr als 200 armenischen Intellektuellen, Politikern und Geistlichen im damaligen Konstantinopel begann, die aramäische Stadt Nisibin. Diese Stadt gilt im kollektiven Gedächtnis der Aramäer als das Zentrum der theologischen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Mit der Deportation der letzten aramäischen Bewohner der Stadt im Jahre 1915 und mit der Ermordung des letzten Lehrers war nun mit der Tradition dieser alten Bildungsstätte endgültig gebrochen.

Sehr herzlich möchte ich mich bei allen bedanken, die an dieser Gedenkfeier mitwirken: Beim abwesenden Komponisten Herrn Gabriel Aydin aus den Vereinigten Staaten für seine im Aufrag von NISIBIN bearbeiteten Neukompositionen syrisch-orthodoxer Hymnen für ein Streichquintett. Diese Hymnen: Brix mor ašux, David eṯnabi, En qayso fsiqo und Qrole Aloho werden vom Melen-Quartett gespielt. Ich bedanke mich herzlich bei den Violinistinnen Clarissa Forster-Mommert und Gisela Bender, Bratschistin Katharina Becker, und Cellistin Marika Gejrot. Über die Beiträge des Streichquartetts hinaus wird der syrisch-orthodoxe Chor der Gemeinde Mor Jakob Seine Eminenz beim Andenken musikalisch begleiten. Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen.

Ein besonderer Dank gilt Frau Anne Osterloh, die am heutigen Abend aus den Erinnerungen einer Überlebenden des Völkermords aus dem Dorf Mzizah, rezitieren wird.

Ich bin sehr glücklich über die Anwesenheit seiner Eminenz Mor Philoxenos Matthias Nayish, Bischof der syrisch-orthodoxen Erzdiözese in Deutschland, der stets mit uns diesen Gedenktag begeht, sowie dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland Daniyel Demir.

Ich freue mich über die Anwesenheit von Herrn Prof. Dr. Heribert Hirte, dem Vorsitzenden des Stephanuskreises der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Den Namen des ersten christlichen Märtyrers, Stephanus, tragend, tritt der Kreis für Toleranz und Religionsfreiheit ein, und ist ein Sprachrohr für Christen in aller Welt, die leider auch heute noch in vielen Ländern das Martyrium erleiden: so wie es zu Ostern diesen Jahres in Sri-Lanka der Fall war und sehr häufig auch im Irak und Syrien, wo unsere Gemeinschaft stark betroffen ist. Es ist uns besonders wichtig, dass Sie als Vertreter der Politik anwesend sind und eine Ansprache halten, am Gedenktag eines Genozids, an dem die Opfer zwar auch aufgrund ihrer Ethnie aber besonders wegen ihrer Zugehörigkeit zum Christentum massakriert wurden.

Besonders herzlich bedanken möchte ich mich bei Prof. Dr. Boris Barth, der heute die Festrede halten wird. Boris Barth ist DAAD Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Karls-Universität Prag. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der Geschichte des europäischen Finanzimperialismus auch die Geschichte von Völkermord und Rassismus. Seit Jahren unterstützt Boris Barth als Wissenschaftlicher Beirat die NISIBIN - Forschungsstelle für Aramäische Studien, die unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Dorothea Weltecke an der Goethe-Universität Frankfurt integriert ist. Er stand der Forschungsstelle bei verschiedenen Veranstaltungen als Experte zur Verfügung. Ich möchte mich für die gute Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Aramäische Studien in den vergangenen Jahren bei Ihnen bedanken und freue mich sehr über Ihre Festrede.

Bedanken möchte ich mich schließlich bei den Verantwortlichen des Französischen Doms, die uns zum wiederholten Male für diesen wichtigen Tag dieses besondere Gotteshaus als Ort des Gedenkens zur Verfügung stellen.